Von Anderen

Als ich neulich die ultimative Metapher zu meinem Leben träumte

oder Es fährt ein Zug nach Nirgendwo

von Nico Walser - 2011


Ich wundere mich gerade über mich selbst. Dass ich hier sitze und einen Traum notiere. Nichts gegen Träume an sich, die passieren halt so, aber zum Aufschreiben taugen all die Collagen aus wirren Begebenheiten und neurotischen Sexphantasien ja nicht wirklich.

Und doch. Gestern war es soweit. Die ultimative Metapher im Traum! OK, vielleicht handelt es sich eher um eine Parabel, Fabel oder Gleichnis. Egal, ich habe zwar Germanistik studiert, das Studium jedoch glücklicherweise überwunden.

Jedenfalls, alles beginnt mit einem Bahnhof. Ich suche in den bevölkerten Gängen nach der korrekten Richtungsangabe der Züge, denn ich muss umsteigen, um zu meiner gewünschten Haltestelle zu gelangen. Leider gleicht alles einer Baustelle, halbfertiges an allen Ecken, dazu viel Graffiti, sodass man die Schilder nicht richtig lesen kann. Wem das zu abstrakt vorkommt, darf sich hier gern seinen persönlichen Wohnort vorstellen. Ich nehme mal Köln. In der Hoffnung, dass die U-Bahn-Baustellen noch existieren, wenn dieses Buch erscheint und nicht zwischenzeitlich wie das Stadtarchiv geflutet oder eingestürzt sind.

Jedenfalls laufe ich orientierungslos umher, treffe dabei auf eine gleichaltrige Frau, die ebenfalls Destinationsschilder sucht. Ich unterhalte mich nett mit ihr und wir bummeln ein wenig an den Verkaufsständen vorbei – Coffee to go, Zeitung to go, Tickets to go. Schließlich wagen wir einen Versuch, fahren eine Rolltreppe hinab und steigen in eine Bahn. Nach mehreren Stationen merken wir, dass es die falsche Richtung ist und steigen aus. In der Station wieder das bekannte Bild: Nirgendwo ein leserliches Schild mit der richtigen Bahnverbindung zu finden. Susanne und ich verlassen den Bahnhof. An dieser Stelle weiß jeder Leser, dass ich aufgrund der Namenswahl zwischen 40 und 50 Jahre alt sein muss. Wer sich jüngere Protagonisten vorstellen möchte, der nenne sie statt Susanne halt Sandy und mich Kevin-Malte. Für ältere Semester respektive: Ingeborg und Walter.

Jedenfalls sehen wir außerhalb der Station, dass wir in einer Art Industriebrache gestrandet sind. Ein Vorort mit verfallenen Fabrikhallen und verwilderten Parkplätzen voller Schrottautos. Wir versuchen erneut unser Glück in der U-Bahn Haltestelle, finden jedoch keinen Hinweis, wohin die verschiedenen Bahnlinien fahren.

 

Mittlerweile sind wir ein Liebespaar, herzen uns und machen in den Bahnhofsläden Shopping. Ein Geschäft für Heimtierbedarf zeigt im Schaufenster ein Schild, auf dem steht: „Große Auswahl an Katzenbabys! Jetzt zuschlagen und sparen!“. (Ja ich weiß, in Bahnhöfen gibt es keine Zoo-Fachgeschäfte, aber wir sind hier in einem TRAUM!)

Jedenfalls, Susanne und ich steigen wieder in eine Bahn ein, von der wir ahnen, dass es die richtige sein könnte. Als wir an der falschen Station aussteigen, zerstreiten wir uns. Am Bahnsteig springt sie in einen Zug und ich gegenüber am Gleis, nehme den Zug in die entgegengesetzte Richtung. Eine Zeitlang bin ich traurig. Aber nicht lang, denn ich steige erneut aus und stelle fest: Es ist nicht die korrekte Station, zu der ich ursprünglich mal aufgebrochen war. Natürlich zeigt sich im Bahnhof wieder das altbekannte Bild. Nirgendwo ein lesbares Schild mit dem Hinweis, in welche Richtungen die Bahnlinien fahren. Menschen hasten durch die Gänge.

Jedenfalls, ein Graffito mit dem Slogan „Unser Schorf soll Döner werden“ erinnert mich daran, dass ich Hunger habe. Ich esse eine Currywurst und flirte mit der jungen Frau am Stehtisch gegenüber, welche sich gerade Tee aus ihrer Thermoskanne eingießt. Ihre silberne Kanne ist über und über mit Aufklebern bedeckt, die bezeugen sollen, welche Welt-Metropolen sie bereits besucht hat. Wir werden ein Paar, ich inzwischen graumeliert, sie Studentin für Wirtschaftsgeografie. Leider helfen uns ihre geografischen Kenntnisse auch nicht weiter. Nachdem wir zehn Zugfahrten lang gemeinsam umher irrten, trennen sich unsere Wege. Sie reist nun zusammen mit einem smarten Sportstudenten. Zum Abschied überlässt sie mir ihre Thermoskanne. Ich gieße mir als erstes nach der Trennung einen Eisenkrauttee ein. Mein Herz ist erkaltet, zumindest der Magen fühlt sich warm an. Ich kaufe mir anschließend einen Gehstock, ächze beschwerlich eine Treppe hinab und besteige mit zittrigen Gliedern eine U-Bahn, von der ich hoffe, dass es diesmal vielleicht die richtige sein könnte.

Gerade hege ich die Befürchtung, das ganze bereits einmal bei Franz Kafka gelesen haben zu können. Da Sie das jedoch lesen bedeutet, dass Thommi, der Betreiber dieser Liebhaberseite für Thermoskannen-Freunde, meine Befürchtung nicht teilt. Nach meinem Traum bin ich jedenfalls felsenfest überzeugt, von nun an keinerlei philosophische Bücher mehr konsultieren zu müssen und ebenfalls auf Lebensratgeber ganz verzichten zu können. Schön, dass die Bahn das mal geklärt hat